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Das Ende des Römischen Reiches in Iberia
Unter besonderer Berücksichtigung der Chronik des Hydatius
Stephan Wannewitz
A. Einführung in das Thema
Erläuterung des Themas
Absicht der Untersuchung
Eingrenzung des Themas
Darstellung der Quellenlage und des Forschungsstandes
B. Die Ereignisse des 5. Jahrhunderts in Spanien
Spaniens Entwicklung als römische Provinz
Spanien unter dem Einfluß der barbarischen Völker
C Hydatius
Biographischer Abriß
Die Chronik des Hydatius
Hydatius' Bericht im Spiegel der historischen Forschung
D. Zusammenfassung und Fazit
Zusammenfassung
Fazit
E. Anhang
Quellen
Darstellungen
Anmerkungen
A. Einführung in
das Thema
1. Erläuterung des Themas
Bei dem Versuch, das „Ende“ des Römischen Reiches fassbar
und auch nachvollziehbar zu machen, ist es unabdingbar, den Einfluss Roms
auf seine Provinzen zu betrachten, deren hohe Anzahl in den Blütezeiten
als Indikatoren der wirtschaftlichen und politischen Macht gelten konnten.
Diese Aussage zeigt bereits die gesamte Problematik auf, die sich um die Fragestellung
ranken. Als erstes drängt sich die Frage auf, inwieweit von einem „Ende“
des Römischen Reiches gesprochen werden kann und auch darf. Der Begriff
„Ende“ birgt stets die Assoziation eines abrupten Vorganges, weniger die eines
Prozesses, der einen längeren Zeitraum umfasst. Für einige Provinzen
wird die Antwort wohl eindeutig sein: durch einen Wechsel der Machthaber
verschwand der römische Einfluss allmählich, wodurch von einem
„Ende“ der römischen Zeit in einem lang währenden Verlauf zumindest
für spezifische Gebiete gesprochen werden kann.
2. Absicht der Untersuchung
In dieser Untersuchung soll der Versuch unternommen werden, das
Schwinden des römischen Einflusses in einer der Provinzen nachzuzeichnen.
Dieses soll am Beispiel Spaniens geschehen. Spanien kann in diesem Zusammenhang
als durchschnittlich stark romanisiert angesehen werden. Bei der Betrachtung
gerade dieses Landes, das als eines der ersten dem Einfluß Roms entzogen
wurde, kann exemplarisch gezeigt werden, was sich in der Folgezeit in weiteren
Provinzen zutrug: die allmähliche Zurückdrängung der Römer
allerdings nicht zugunsten der einheimischen Bevölkerung, sondern einer
neuen Besatzungsmacht, den sogenannten „barbarischen Völkern“.
3. Eingrenzung des Themas
Bei diesem Thema bedarf es einer Eingrenzung
des Untersuchungsraumes, denn eine zu weit gefasste Arbeit würde sowohl
den geplanten Rahmen sprengen als auch zu wenig aussagefähigen Ergebnissen
führen.
Zu diesem Zweck ist es geplant, den einleitenden Teil über die Entwicklung
Spaniens sowohl unter der römischen als auch der barbarischen Herrschaft
möglichst knapp zu gestalten, da an diesem Punkt auf die Vollständigkeit
der Darstellung verzichtet werden kann. In ihrem Kern wird sich diese Untersuchung
mit dem spanischen Bischof Hydatius und dessen Chronik beschäftigen.
Über den Versuch, die Person darzustellen und die Chronik zu interpretieren
soll eine Einordnung sowohl der Person als auch der Chronik in den historischen
Kontext und die historische Forschung erfolgen, um einen Beitrag zu der Diskussion
über das „Ende“ Roms zu leisten.
Ausgeklammert wird eine quellenkritische Untersuchung, da zum einen die Quelle
lediglich in Übersetzung respektive der Edition Mommsens1
vorlag und andererseits auf die gute Darstellung Muhlbergers2
verwiesen werden kann.
4. Darstellung der Quellenlage
und des Forschungsstandes
Bei der Untersuchung der spanischen Geschichte des 5. Jahrhunderts
muss als Quelle die Chronik des Bischofs Hydatius3
zugrunde gelegt werden. Diese Quelle, die lange Zeit wenig Beachtung fand,
erscheint zuerst relativ isoliert, da der Autor, Hydatius außerhalb
seiner eigenen Chronik nur sehr wenig in Erscheinung tritt, und sein Schriftgut
auch nicht durch stilistische Feinheiten oder besondere Informationen Beachtung
gefunden hat. In der historischen Forschung ist die Bewertung der Chronik
in ständiger Bewegung, ihr Wert in der neueren Forschung jedoch weitgehend
unumstritten. Die Kritik an der Chronik begründete sich lange Zeit auf
die gerade für die Zeit nach 455 auftauchenden chronologischen Ungereimtheiten,
die jedoch den Gesamtwert nicht schmälern.
In der Forschung des deutschsprachigen Raums spielt die Entwicklung Spaniens
im 5. Jahrhundert eine eher untergeordnete Rolle. Auch für die römische
Geschichte wird der Provinz Spanien keine große Bedeutung beigemessen,
so dass auch die Chronik des Hydatius wenig Beachtung findet. Von entscheidender
Bedeutung für diese Untersuchung sind die Darstellungen von Muhlberger4
und Thompson5, die, beide aus dem englischsprachigen
Raum stammend, den neueren Forschungsstand bieten. Leider stand die seit
einiger Zeit angekündigte Dissertation von Burgess6
nicht zur Verfügung, die wichtig gewesen wäre, weil der Autor die
Quelle im Original bearbeitet hat, und somit nicht, wie fast alle anderen
Interpretationen, auf der Edition Mommsens aus dem Jahre 18947
beruht.
B. Die Ereignisse des 5. Jahrhunderts in Spanien
1. Spaniens Entwicklung als römische Provinz
Seit ungefähr 200 n. Chr. war in Spanien die Romanisierungswelle,
die eine Angleichung an die römische Lebensart, die lateinische Sprache
und die Übernahme des Rechtssystems und der Zivilisation zumindest durch
weite Teile der Bevölkerung umfasste, nahezu abgeschlossen, und die
Provinz kam in den folgenden Jahren zu einer nahezu ungestörten Blüte.
Die früh romanisierten Gebiete leisteten große Beiträge zum
geistigen und politischen Leben des gesamten Reiches. Von der Halbinsel stammten
unter anderen die Seneca- Familie, Columella, Mela, Bocchus, Martial und
Quintillian. Auch im Senat saß eine nicht geringe Anzahl von Hispalorömern.
Trajan (98-117) und sein Adoptivsohn Hadrian (117-138) waren, aus Spanien
stammend, die ersten Kaiser provinzial-römischen Ursprungs.
Spaniens wirtschaftliche und kulturelle Blüte wurde sowohl durch hohe
agrarische und industrielle Produktion als auch durch ungestörte Fernhandelsbeziehungen
gewährleistet. Das Land gehörte in vielen Bereichen zu den führenden
Produzenten des Reiches. Neben der hier zu nennenden florierenden Öl-
und Weinproduktion8 war Spanien für seine Pferdezucht
berühmt, da von dort die meisten Pferde für den römischen
Zirkus stammten9. Weiterhin wurden in Spanien große
Mengen von Stoffen und Gewändern hergestellt10,
die eines der wichtigsten Handelsgüter der Spätantike darstellten.
Einen weiteren gewichtigen Produktionsbereich im antiken Handwerk bildete
neben der Bekleidungsherstellung der Metallsektor. Auch hier stand Spanien
an der Spitze des Reiches: es war berühmt für seine Gold-, Silber-
und Eisengewinnung11. Aufgrund seiner vielfältigen
und qualitativ hochwertigen Güter bestand zwischen Spanien und dem Reich
ein reger Handelskontakt.
Aber nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das religiöse Leben nahm
sehr schnell römische Züge an, so daß die spanische Kirche
als ein zuverlässiges Glied der Reichskirche anzusehen war.
Mit dem letzten Viertel des 2. Jahrhunderts begann allerdings eine unruhige
Zeit. Die Pest, ständige Bedrohung durch maurische Übergriffe auf
den Süden des Landes und die seit der Mitte des 3. Jahrhunderts zunehmende
Bedrohung der Küsten durch fränkische und alamannische Seepiraten
stürzten das Land in eine Dauerkrise12.
Im Land selbst kam es zu sozial motivierten Bauernaufständen
und zu einem Abflauen der wirtschaftlichen Stärke.
Der Erzertrag der Bergwerke sank. Die dadurch ausgelöste Rezession führte
zu einem Verfall der Verkehrswege und des Fernhandels, einem der Garanten
des spanischen Wohlstandes. Begleiterscheinung der Veränderungen war
eine Verarmung der Mittel- und Verelendung der Unterschichten. In dieser
Phase verlief die Entwicklung in Spanien nahezu parallel zu der im gesamten
Reich.
Die konstantinischen Epoche zu Beginn des 4. Jahrhunderts führte zu
einer Stabilisierung der Verhältnisse, wenngleich die Bevölkerung
der Städte abnahm und sich das wirtschaftliche Schwergewicht auf die
stark befestigten Landsitze der „potentes" 13 verlagerte.
Das Spanien des 4. Jahrhunderts erlebte einen erneuten kulturellen Aufschwung.
Es brachte unter anderem die theodosianische Dynastie, den Ursupator Magnus
Maximus sowie bedeutende christliche Geistesgrößen wie beipielsweise
den Epiker Iuvencus, einen spanischer Presbyter aus vornehmem Geschlecht,
den christlich-lateinischen Dichter Prudentius (348-405) und Orosius14,
den spanischen Geschichtsschreiber und theologischen Schriftsteller hervor.
2. Spanien unter dem Einfluß
der barbarischen Völker
Bereits im frühen 5. Jahrhundert begann die politische und
gesellschaftliche Auflösung. Dies geschah vor allem gegen den Willen
des Adels. Die Völkerwanderung führte die Völker der Alanen,
Sueben und Vandalen auf die Halbinsel15, und nur
noch einzelne Städte widerstanden sowohl in Gallien als vor allem auch
in Spanien den Germanen. Durch den Einmarsch der sogenannten barbarischen
Völker über die Pyrenäen im Jahr 409 verlor Spanien den engen
Kontakt zum Reich. Das Land wurde nach Orosius im Losverfahren16
unter den germanischen Völkern aufgeteilt: Die Sueben und ein Teil der
Vandalen erhielten den Nordwesten, die Alanen die Mitte und ein anderer Teil
der Vandalen den Süden.
Durch spätere, kriegerische Auseinandersetzungen gelangten schließlich
auch noch die Westgoten nach Spanien. Zunächst kamen sie als römische
Föderaten, um die Sueben zu bekämpfen (aus diesem Grund bekamen
sie im Jahr 418 Siedlungsland in Aquitanien zugewiesen). Später traten
sie jedoch selbst als Okkupanten auf. Mit der Eroberung der Provinz Terraconensis
474 durch den Westgotenkönig Eurich, der 468 nach Spanien einmarschiert
war, schied die Halbinsel faktisch aus dem römischen Reichsverband aus.
Allerdings war die römisch-romanische Kultur des Landes so stark gefestigt,
daß sie sich gegen die gotische durchzusetzten vermochte.
C. Hydatius
1. Biographischer Abriß
Wie bereits angedeutet, ist die Chronik des spanischen Bischofs
Hydatius, die als die Hauptquelle für den zu betrachtenden Zeitraum
anzusehen ist, als eine isolierte Quelle anzusehen, da die Person des Autors
in anderen erhaltenen Texten, die der gleichen Zeit entstammen, wenig in Erscheinung
getreten ist. Bereits bei dem Versuch die Biographie des Hydatius nachzuzeichnen,
treten zahlreiche Schwierigkeiten auf, weil er außerhalb seiner Chronik
lediglich in vereinzelten Briefen Erwähnung findet.
Hydatius wurde ungefähr 394 in Nordspanien geboren, einem Gebiet, das
etwa dem heutigen Galicien17, der nord-westlichsten
spanischen Provinz entspricht. Die Geburtsstadt Lemica18
heißt heute Xinzo de Limia und liegt im Nordwesten Spaniens, nahe der
Grenze zu Portugal. Die soziale Herkunft des Hydatius kann nicht sicher bestimmt
werden, jedoch muß seine Familie einem gehobenen Stand angehört
haben, da ihm ermöglicht wurde, im Alter von 12 oder 13 Jahren eine
Reise in die berühmten geistigen Zentren des Nahen Ostens zu unternehmen.
Hydatius besuchte Alexandria, Zypern, Jerusalem und, was für ihn von
besonderer Bedeutung war, vor allem auch Bethlehem. Denn hier kam es zu der
wohl schicksalhaften Begegnung mit Hieronimus, dessen Chronik er dann später
fortsetzte. Zurück in Spanien wurde er 416 zum Priester ordiniert und
427 zum Bischof konsekriert. In der Chronik wird sein Bischofssitz nicht
erwähnt, jedoch wird heute Aqua Flaviae als sein Sitz angenommen. Geographisch
liegt diese Stadt in der Nähe des portugisischen Chaves.
Bei der Beurteilung des historischen Schaffens des Bischofs spielt diese
soziale und geographische Herkunft eine nicht unwesentliche Rolle, denn aus
der mittelmeerzentrierten Sichtweise der römischen Welt lag Nordspanien
in sehr weiter Entfernung zum Zentrum. Das Gebiet galt als bergig, kalt,
ungastlich, schwer erreichbar und seine Einwohner als wild, widerspenstig
und roh19. Hydatius selbst sprach von der
Entlegenheit Galiciens und seiner Position am Ende der Welt20.
Bei dem Versuch Begegnungen des Hydatius mit bekannten Persönlichkeiten
seiner Zeit nachzuzeichnen, muß auf die Chronik und somit auf die eigenen
Beschreibungen verwiesen werden. Als erste ist somit die Begegnung mit Hieronimus
zu nennen, die Hydatius in seiner Jugend hatte. Nach dieser Reise in den
Nahen Osten scheint Hydatius die meiste Zeit seines Lebens in seiner Heimat
verbracht zu haben. Zu einer weiteren wichtigen Begegnung kam es 431, als
Hydatius den römischen Feldherrn und Staatsmann Aetius traf, und mit
ihm über einen Einfall römischer Truppen nach Spanien verhandelte21,
damit diese geeignete Schritte gegen die Sueben unternehmen konnte, die in
Spanien als Ursupatoren auftraten.
Im Jahr 445 sah sich Hydatius wiederum gezwungen, seine Diözese zu verlassen.
Er ging nach Astorga, um dem dortigen Bischof Turibius gegen aufkommende Häresien
zu helfen22. Es ging um einige Manichäer23,
die, nachdem sie lange versteckt gelebt hatten, durch die Anstrengungen des
Bischofs gestellt werden konnten. Sie wurden durch Hydatius und Turribus
verhört und anschließend zum Bischof Antoninus von Mérida
geschickt.
Nach diesen Ereignissen erwähnt Hydatius seine eigene Person erst wieder
460, einem Jahr mit großen Unruhen in Galicien, in der Chronik. Eine
gotische Armee war mit römischem Einverständnis nach Spanien einmarschiert,
um die Sueben zu bekämpfen. Den Sueben gelang es aber, die Goten erfolgreich
zurückgeschlagen. Hydatius wurde von ihnen unter ihrem Anführer
Frumarius 460 in der Kirche von Chaves gefangengenommen und in Aqua Flaviae
festgesetzt24. Nach drei Monaten in Gefangenschaft
wurde Hydatius wieder freigelassen.
Die letzten Einträge stammen aus den Jahren 468 und 469, einem Zeitpunkt
an dem Hydatius bereits über 70 Jahre alt war. Es wird im Allgemeinen
angenommen, daß der Bischof in diesen Jahren gestorben ist25.
Die kurzen Anmerkungen innerhalb der Chronik über seine eigene Person
ermöglichen es kaum, die Persönlichkeit von Hydatius zu erfassen.
Jedoch läßt die Themen- und Wortwahl einen Teil seiner Persönlichkeit
erahnen, da seine unterschiedliche Gewichtung der Bedeutung verschiedener
Ereignisse stark von seiner subjektiven Wahrnehmung geprägt zu sein
scheint. Die Angaben über sich und seine Familienverhältnisse lassen
nur Vermutungen zu: die darin enthaltenen Informationen über seine Jugend
führen zu dem Schluß, daß er aus einer wichtigen, sozial
hochgestellten Familie der Provinz entstammt, die ihm sowohl eine literarische
Ausbildung als auch eine lange Reise in die geistigen Zentren seiner Zeit
ermöglichte. Er stellte sich selbst stets als einen treuen Anhänger
Roms, als Gegner der Sueben und vor allem auch als ein Gegner von Häresien
dar. Denn nicht nur die Darstellung der Geschehnisse in Astorga in Verbindung
mit den Manichäern nahm ihn sehr in Anspruch, sondern vor allem der
ständige Kampf gegen den Priscillianismus26.
2. Die Chronik des Hydatius
Die Chronik des Hydatius bietet aber weit mehr, als die sporadischen
Eintragungen zu seiner eigenen Person, die nur eine unzureichende Rekonstruktion
seiner Biographie ermöglichen. Bevor allerding auf den Inhalt eingegangen
werden kann, ist es erforderlich, einen Einblick in die Quellen zu geben,
welche Hydatius benutzte.
In den Kapiteln 5 und 6 der Einleitung werden die Quellen genannt: „Quae
fideli suspiciens cordis intuitu, partim ex Studio scriptorum, partim ex certo
aliquantorum relatu, partim ex cognatione quam iam lacrimabile propriae vitae
Tempus offendit, quae subsequuntur adiecimus.“27. Hydatius
benutzte also sowohl schriftlich überlieferte Quellen, narrative Quellen
als auch eigene Erfahrungen. In dieser Quellenlage begründet sich die
Einordnung vieler Ereignisse und vor allem auch die Themenauswahl. Hydatius,
in einer spanischen Provinz geboren und familiär eingebunden, schrieb
aus seiner besonderen Perspektive. Es kann angenommen werden, daß er
durch seine Herkunft die Intention besaß, eine Chronik für Spanier,
oder, noch stärker formuliert, für die Einwohner Galiciens zuschreiben28.
Es werden nicht nur politische Ereignisse aus der Reichs- und Kirchenführung
kommentiert, sondern auch Naturereignisse, die lediglich Nordspanien tangierten,
wie beispielsweise eine Sonnenfinsternis am 11. November 40229,
die kaum im gesamten Reich sichtbar gewesen sein kann.
Welche besondere Stellung seine Heimat in seiner Chronik einnimmt, macht
der Vergleich zweier anderer Textstellen deutlich. Die Invasion Spaniens im
Jahr 409 ist, gemessen am Umfang der Berichterstattung, ist für ihn
von weit größerem Interesse als der Fall Roms 41030,
der für den Rest des Reiches ungleich bedeutender war. Zwar wurde die
Invasion der barbarischen Völker nach Spanien auch von anderen Zeitgenossen
kommentiert, jedoch wurde dem Geschehen nicht der hohe Stellenwert beigemessen,
wie es Hydatius tat. Aber gerade dieser Chauvinismus und seine große
Subjektivität, die beinahe als naiv bezeichnet werden können, machen
die Besonderheit und eine der großen Stärken der Chronik aus: kaum
eine andere Quelle scheint soviel Lebensgefühl, soviel Identifizierung
mit dem Niedergang des römischen Einflusses zu bezeugen. Ebenfalls aus
dieser Textstelle läßt sich eine weitere Aussage herleiten: die
Bedeutung der Stadt Rom für die Erhaltung des römischen Reiches
war geschwunden. Eine Gleichsetzung des Reiches mit der Stadt Rom fand nicht
mehr statt.
Die Chronik kann in drei größere Bereiche eingeteilt werden, die
im Text immer wieder Erwähnung finden. Ein Themenkomplex beinhaltet
die politischen Belange, die direkt das Reich betreffen, hierbei erwähnt
er beispielsweise die Ordinierung neuer Bischöfe von Rom und die Einsetzungen
neuer Kaiser und nicht zuletzt die Kriegszüge und Vorstöße
der „barbarischen Völker. Einen weiteren Komplex bilden die Einträge,
die sich mit Spanien und den einzelnen spanischen Provinzen befassen, wozu
auch das Vorgehen des Hydatius gegen Häretiker gezählt werden muß.
Die Schilderungen von Naturereignissen können als dritter Bersich betrachtet
werden, wobei insbesondere die häufige Nennung von Sonnenfinsternissen
auffällt.
Im Folgenden soll ein kurzer Einblick in Details
der Chronik gegeben und wichtige Kapitel erläutert werden.
Hydatius beginnt, nach einem Vorwort, mit dem
neununddreißigsten Kaiser Roms, mit Theodosius, der gemeinsam mit Gratian
und Valentinian dem jüngeren regierte31. Er blieb
insgesamt siebzehn Jahre an der Macht und bekam später von Gratian den
Titel Augustus verliehen. Bezeichnend für Hydatius' persönliche
Intention ist sein expliziter Hinweis darauf, daß Theodosius aus Spanien,
aus Galicien stammt32.
Das erste längere Kapitel ist Priscillian gewidmet. Priscillian, aus
einer vornehmen spanischen Familie stammend, war aufgrund seines Glaubens33
mit dem verweltlichten Klerus Nordspaniens und Südgalliens in Konflikt
geraten34. In diesem Passus über Priscillian
wird ein wichtiger Mentalitätsaspekt deutlich: die Angst nicht nur des
Hydatius, sondern der führenden klerikalen Schicht vor Häresien.
Die Äußerungen „Priscillianus, declinans in haeresem gnosticorum
[...]“35und „[...] a sancto Martino
episcopo et ab aliias episcopis haereticus iudicatus“36
bringen die von den Zeitgenossen empfundene Bedrohung, die von Priscillian
und seinen Anhängern ausging, zum Ausdruck. Bereits wenige Zeilen später,
in Kapitel 16, ist Priscillian erneut Thema der Niederschrift: er wurde auf
den Synoden von Saragossa (380) und Bordeaux (384/85) verurteilt.
Nachdem man ihm das Episkopat entzogen hatte,
wurde er auf Befehl des Tyrannen Maximus hingerichet. Die Verurteilung und
Hinrichtung im Jahre 385 in Trier erzielte jedoch nicht das von Priscillians
Gegnern erhoffte Ergebnis. Im Gegenteil: sein Tod wurde von seinen Anhängern
als ein Martyrium gepriesen, und die priscillianische Bewegung nahm einen
Aufschwung, der vor allem Galicien37 und Südfrankreich
erfaßte. Zwar versuchten viele bedeutende Theologen dieser Entwicklung
entgegenzuwirken, so verfasste Augustinus auf Veranlassung Orosius' mehrere
antipriscillianische Schriften und Papst Leo I. Griff nach einer Anfrage
des Bischof Turibius von Astorga mit der Ansetzung mehrerer Synoden zur Übverwindung
des Priscillianismus ein38. Die Verurteilung durch die Synode
von Braga (561 oder 563) führte zu einem allmählichen Erlöschen
der Bewegung. Jedoch konnte sich der Priscillianismus besonders in Galicien
bis in das 7. Jahrhundert hinein halten39.
In den nächsten Artikeln wendet sich Hydatius erneut der weltliche Herrschaft
im Reich zu: er berichtet vom Tod des Maximus und von Cynegius, der auf seinem
Siegeszug durch Ägypten heidnische Götzenbilder zerstört hatte40.
Hierauf folgt eine kurze Beschreibung der Reichsaufteilung zwischen Arcadius
und Honorius, den Söhnen des Theodosius, deren Regierung 30 Jahre dauerte.
Danach gilt die Aufmerksamkeit des Chronisten der Synode von Toledo, bei
der wiederum die Beschäftigung mit dem Priscillianismus das Geschehen
beherrschte41.
Im weiteren Verlauf der Quelle wird die besondere
Affinität des galicischen Bischofs Hydatius zu seiner Heimat deutlich:
die Kapitel 34 und 35a, die vom Umfang her nahezu gleich sind, spiegeln die
subjektive Einschätzung der Bedeutung spezifischer Ereignisse wieder.
In Kapitel 34 wird eine Sonnenfinsternis geschildert, in Kapitel 35a wird
der neue Bischof von Rom, Innozenz vorgestellt, der nach Hydatius' Rechnung
der siebenunddreißigste Papst war42. Für
beide Aussagen wird jeweils ein Satz benötigt.
Das Kapitel 42, das erste unter der Zeitangabe Olympi. CCLXXXXVII43
stellt dar, daß die Völker der Alanen, Vandalen und Sueben nach
Spanien einmarschiert sind. Als zweite Datierung erfolgt die Nennung der
Konsuln: „ [...] Honorio VIII et Theodosio Arcadii filio III consulibus“44.
Dieser durch die Völkerwanderung erfolgte Einschnitt in die spanische
Geschichte fand im Jahre 409 statt, als die genannten Völker die Pyrenäen
überwanden. Dieses und das nächste Kapitel 43, das mit der Sentenz
„Alaricus rex Gothorum Romam ingressus [...]“45 eingeleitet
wird, zeigen aus Hydatius' Sicht die Bedeutung, die der Stadt Rom in diesen
Jahren zugemessen wurde. Der Eroberung und die Plünderung der Stadt,
die im Monat August des Jahres 410 erfolgte, wurde allgemein als ein welterschütterndes
Ereignis angesehen46.
Im Gegensatz hierzu muß Kapitel 48 gesehen werden, in welchem sehr ausführlich
die Auswirkungen der Pest und vor allem der Verwüstungen durch die barbarischen
Besatzer auf Spanien beschrieben werden. Nicht nur der unterschiedliche Textumfang
dieser beiden Ereignisse deutet, will man Thompson folgen47,
darauf hin, welch eminente Bedeutung vor allem die Besetzung Spaniens auf
Hydatius hatte. Die Wortwahl kann dahingehend interpretiert werden, daß
die Rolle der Stadt Rom für das römische Imperium sekundär
geworden war. Sie war ein Teil des Reiches, doch aus der Sicht des galicischen
Bischofs von der Bedeutung eines caput mundi weit entfernt.
Weitaus wichtiger war die eigene Lebenswelt, die
direkte Umgebung, wie auch das Kapitel 49 zeigt, in welchem Hydatius die
Situation in Spanien schildert. Es war die Zeit in der die barbarischen Völker
das Land verwüsteten, untereinander aufteilten und die spanische Bevölkerung
unterwarfen48. Die Vandalen besetzten Teile
von Galicien, die Sueben den äußersten Landesteil, der am Meer
lag, die Alanen nahmen Lusitania und Carthaginiensis und der Teil der Vandalen,
die sich auch Silinger49 nannten, bekamen Baetica zugesprochen.
Sodann widmet sich Hydatius in den nächsten Kapiteln wieder der Reichsführung
und den Kriegszügen. Für die Einschätzung des Quellenwertes
sind die Kapitel 63 bis 75 eminent, da sie sich fast ausschließlich
mit dem Geschehen auf der iberischen Halbinsel beschäftigen. Es sind
nicht nur politische Ereignisse wie beispielsweise der Kriegszug des Gotenkönigs
Vallia als römischer Föderat gegen die Barbaren in Spanien50
oder die Einsetzung des neuen Bischofs von Rom, Eulalius51,
sondern wiederum Naturereignisse, die geschildert werden. In Kapitel 64 ist
es eine Sonnenfinsternis in Spanien und in Kapitel 71a ein Erdbeben, das
die Stadt Jerusalem und andere Orte erschütterte. Hier nennt Hydatius
auch seine Quelle: er griff auf die schriftlichen Aufzeichnungen des kurz
zuvor erwähnten Bischofs52 Eulalius
zurück.
In Kapitel 89 wendet sich Hydatius dem Zustand der Kirchen in Spanien zu.
Er schildert besorgt, wie der vandalische König Guntharich die Hand
gegen die Kirche der Stadt Sevilla erhoben hatte. Dessen kurz darauf erfolgter
Tod wurde von Hydatius als eine gerechte Strafe Gottes gewertet53.
Der darauf folgende König Geiserich verleugnete den katholischen Glauben
und verfiel dem Arianismus. Im folgenden Kapitel wird dargestellt, wie Geiserich
mit allen Vandalen und deren Familien Spanien verieß, um sich nach
Afrika auszuschiffen.
Es schließen sich Berichte über Verwüstungen durch die Sueben
in Galicien an. Auch werden die Person und Kämpfe des Aetius beschrieben,
der von Hydatius um Hilfe gegen die Sueben gebeten wurde. Aetius scheint
durch Hydatius große Bewunderung erfahren zu haben, werden doch die
Siege und vor allem auch die Anzahl der Opfer sehr hoch angesetzt. In Kapitel
110 wird von 20.000 getöteten Burgundern54 und kurz
darauf von 8.000 getöteten Gothen55 gesprochen.
Im Bericht der Schlacht der Römer gegen die Hunnen auf den Katalaunischen
Feldern spricht Hydatius von 300.000 Opfern56. Es steht
zu vermuten, daß diese Zahlen symbolisch eingesetzt wurden und lediglich
für eine undefinierbar große Zahl von Opfern stehen.
In der Folge wird in freier Aneinanderreihung über verschiedene Handlungen
der Vandalen und Sueben, und vor allem über die bereits angedeuteten
Unruhen, die durch Häresien ausgelöst wurden, berichtet. Immer
wieder eingeflochten werden hierbei Naturereignisse, wie in Kapitel 136 eine
Sonnenfinsternis57 und Kapitel 149 ein Erdbeben58
und weitere am Himmel erschienene Zeichen. Auch vom Tode des Aetius erzählt
Hydatius, welcher von Valentinian perönlich getötet wurde59.
Stets aber werden auch hier Berichte beigefügt, die direkten Bezug auf
die spanische Heimat des Autors haben: es sind Einschübe über die
Sueben, die eine Provinz verwüsteten60, über
die Goten, die im Auftrag Roms die Bagauden, eine Gruppe von spanischen Aufständigen,
bekämpften61 oder über Naturereignisse,
die sich in Galicien zutrugen62.
Am Ende der Chronik stehen wiederum Zeichen und Seltsamkeiten, die sich in
Galicien ereigneten, aber nicht mehr alle detailliert aufgeführt werden63.
An dieser Stelle schließt die Quelle abrupt. Es wird allgemein angenommen,
daß Hydatius Eintragungen bis zu seinem Tode vornahm, so daß
dieser in etwa im Jahre 469 angesiedelt werden kann64.
3. Hydatius' Bericht im Spiegel
der historischen Forschung
Die Grundlage der Erforschung der Quelle bildet eine Handschrift
aus dem 9. Jahrhundert65. Diese Handschrift befindet sich
in Berlin und wurde von Mommsen Handschrift B genannt. Sie ist in einem Band
enthalten, der die Chroniken des Hieronimus und Hydatius, die ConsulariaHydatiana
und das Liber Generationis umfaßt. Diese Handschrift
wurde von mehreren Personen kommentiert und verbessert. Es handelt sich sowohl
um Korrekturen des Originalschreibers als auch um spätere Eintragungen.
Die Chronik des Hydatius hat lange Zeit in der historischen Forschung kaum
Beachtung gefunden. Nach der Edition Mommsens war es erst Christian Courtois66,
der eine kritische Interpretation der Quelle bot. Nach Untersuchung der Edition
war er überzeugt, daß das zugrunde liegende Berliner Manuskript
verfälschter war, als von Mommsen angenommen wurde. Seiner Einschätzung
nach konnte jemand, der so gewissenhaft gearbeitet hatte wie Hydatius nicht
so viele und gravierende Fehler in der Datierung gemacht haben, wie in dem
Manuskript B gefunden wurden.
In der neueren Forschung von Thompson und Muhlberger wird davon ausgegangen,
daß die von Courtois geäußerte Kritik an der Chronik nicht
gerechtfertigt67 ist. In der oftmals sehr bildhaften
Sprache anglo-amerikanischer Historiker wird aufgezeigt, daß die Zweifel
von Courtois an der Chronologie und einigen Informationen die Chronik auch
in ihrem Inhalt angreift68.
Thompson, der an einer Mikrofilmkopie des Berliner Handschrift gearbeitet
hat, betont die hohe Güte der Edition Mommsens, die allerdings nicht
als fehlerfrei gelten kann, da hier Ergänzungen in der Chronologie vorgenommen
wurden, die zu Verwirrungen geführt haben. Bereits für das Manuskript
muß konstatiert werden, daß die Umrechnung der Jahreszahlen in
Olympiaden nicht schlüssig ist69. Thompson
geht davon aus, daß Hydatius nicht mit der Gewissenhaftigkeit eines
Chronisten des 20. Jahrhunderts gearbeitet hat. Die sehr begrenzten Informationsnetze
des 5. Jahrhunderts ließen es nicht zu, Ereignisse aus Italien oder
dem Osten des Reiches exakter zu datieren.
Die Edition von Tranoy wird in der Forschung als zu unkritisch beurteilt.
Zum einen folgt Tranoy stark der Linie Mommsens in den textkritischen Anmerkungen,
und zum anderen übernimmt er sehr stark die Interpretation Courtois'
für die chronologischen Unsicherheiten. Courtois verwarf Datierungen
der Edition, ohne jedoch erkannt zu haben, daß diese z.T. Ergänzungen
von Mommsen waren70.
Dennoch bietet die wohl beste Edition der Quelle immer noch der Text von Mommsen,
der zwar auch Fehler aufweist, aber nicht die heute zum Teil wieder verworfenen
Verbesserungen von Courtois beinhaltet, wie die Editionen Tranoys' und Campos'71.
Eine aktuelle Edition der Chronik ist von Burgess angekündigt72,
die dieser Untersuchung aber nicht zur Verfügung stand.
Die Einschätzung der Quelle hat in den letzten 40 Jahren eine starke
Wandlung erfahren. Die Bedeutung, die ihr heute zugemessen wird, kann an
der Aussage Thompsons festgemacht werden, der davon ausgeht, daß ohne
die Chronik keine Geschichte Spaniens des 5. Jahrhunderts hätte geschrieben
werden können, da sich ohne sie lediglich das Wissen um einige wenige,
zusammenhanglose Ereignisse erhalten hätte73.
D. Zusammenfassung und
Fazit
1. Zusammenfassung
Bei dem Versuch die Chronik des Hydatius zusammenzufassen, muß
konstatiert werden, daß die zentralen Themen immer eng mit seiner Heimat
verbunden sind. Der Chronist wird in seiner Berichterstattung von den ihn
direkt betreffenden Ereignissen geleitet. Deutlich erkennbar ist seine Angst
vor den Veränderungen, die in dem beschriebenen Zeitraum den nordspanischen
Raum tangieren. Mit Sorge werden manche Ereignisse, die mit der Reichsführung
verbunden sind, betrachtet. Hieraus kann geschlossen werden, daß Hydatius
diese oftmals als eine Bedrohung der inneren Sicherheit und Ordnung des Reiches
interpretiert hat.
Einen großen Einfluß auf das Denken des Autors nehmen die vielfältigen
Häresien, von denen eine große Gefahr für die Kirche ausgegangen
ist. In weiten Teilen der Darstellung erscheint Hydatius als ein sehr informierter
Chronist. Fast beiläufig werden Details eingeflochten, die bei anderen
Chronisten seiner Zeit keine Erwähnung finden wie beispielsweise die
Heirat von Palladius Caesar, dem Sohn des Kaisers Petronius Maximus mit der
Tochter von Valentinian III.74. Andererseits
fehlen wichtige Ereignisse, die das Reich oder auch die Kirche betreffen,
völlig. Das Konzil von Chalcedon aus dem Jahre 451, das mit seinen Entscheidungen
zur Abweisung der Monophysitischer Lehren wohl bekannt war, findet keine
Erwähnung.
Auf die in der Forschung noch immer diskutierten Fragen nach den Unsicherheiten
in der Chronologie, die in der Chronik auftauchen, soll hier nicht detailliert
eingegangen werden, da in den neuesten Untersuchungen von Burgess75
neue Ergebnisse veröffentlicht wurden. Als ein allgemeiner Forschungstrend
zur Chronologie kann festgestellt werden, daß Unsicherheiten auftreten,
die aber den hier vorgestellten Inhalten und den Bewertungen der Quelle nicht
schaden.
2. Fazit
Bilanzierend kann gesagt werden, daß
Hydatius nur einen skizzenhaften Bericht über den Zustand der Kirche
in Spanien gibt. Die vorherrschenden Probleme sind für ihn der Arianismus,
Priscillianismus und Manichäismus, die in dieser Zeit eine ernsthafte
Gefährdung für die Kirche darstellten. Von diesen drei häretischen
Bewegungen empfindet er den Priscillianismus als die für ihn größte
Gefahr. Diese Einschätzung wird verständlich, wenn bedacht wird,
daß selbst Bischöfe zu den Anhängern gehörten76.
Der Arianismus hatte zwar im Imperium größere Bedeutung, aber
nur geringen Einfluß auf Spanien. Hydatius deutet keinen Zusammenhang
zwischen den Häresien und den barbarischen Okkupanten an. Trotzdem erscheint
der Zustand der Kirche nicht als gesichert, sondern als ein von allen Seiten
bedrohtes Gebilde.
Sein von starker Orthodoxie geprägtes politisches Denken verlangte nach
einer starker Führung durch das Reich, die er allerdings schwinden sah,
da sich die Autorität des Kaisers vor allem auf den Osten des Imperiums
erstreckte.
Den großen Wert der Quelle macht einerseits die Sprache und andererseits
die Bedeutung, die das Gebilde „Rom“ für den galicischen Bischof einnimmt
aus. „Rom wird als ein Synonym für Ordnung gesehen, als ein Haltepunkt
in dem vom Chaos bedrohten Land. Die Sprache und vor allem auch die Themenauswahl
geben einen Hinweis auf die Lebenswelt des Hydatius. Das römische Imperium
verkörpert einige Werte, die das Leben auch in den Provinzen über
eine sehr lange Zeit geprägt haben wie beispielsweise Sicherheit und
Ordnung. Die Chronik läßt erkennen, daß eine starke Identifikation
Spaniens mit dem Römischen Reich stattfand. Dies wird unter anderem
darin deutlich, daß die Städte lange Zeit unter dem Einfluß
der römischen Kultur blieben, so daß die barbarischen Völker
darauf nur wenig einwirken konnten, und auch keinen bleibenden Eindruck hinterließen.
Unter diesen Aspekten birgt die Chronik des Hydatius Details, die wenige andere
Quellen bieten, die aber auch erst in dem Moment für historisches Interesse
sorgen, wo diese Wissenschaft Fragen nach der Alltags- oder Mentalitätsgeschichte
stellt. Bei der Betrachtung der absoluten Aussagekraft lassen die Ungreimtheiten
im chronologischen Ablauf oder in der Art der Darstellung von Zahlen Zweifel
an der Korrektheit der Quelle aufkommen. Sie betreffen aber nur die Vorkommnisse
in Italien respektive dem Osten des Reiches. Die Chronologie ist für
Galicien und die nähere Umgebung in Spanien und Südgallien auch
für die spätere Phase der Chronik als sicher anzunehmen. Die Unsicherheiten
erscheinen vor dem Hintergrund, daß die Chronik des Hydatius die einzige
Quelle für das Spanien des 5. Jahrhunderts zu sehen ist, als nahezu unbedeutend.
D. Anhang
1. Quellen:
MOMMSEN, Th., Chronica Minora II = MGH AA XI 1894, S. 1ff.
HYDACE, Chronique, hrsg. von Alain TRANOY, Sources Chrétiennes Nr. 218 und Nr. 219, Paris 1974.
HYDATIUS, Idacio, Obispo de Chaves, Su Cronicón, ediert und übersetzt von Julio CAMPOS. Salamanca 1984.
2. Darstellungen
BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in vierundzwanzig Bänden. Neunzehnte, völlig neu bearbeitete Auflage. Mannheim 1986-94.
COURTOIS, Christian., Auteurs et Scribes: Remarques sur la Chronique d'Hydace. In: Byzantion 21, 1951, S. 23-54.
DEMANDT, Alexander, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284-565 n. Chr. München 1989.
HÖFER, Josef/RAHNER, Karl, Lexikon für Theologie und Kirche. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. 11 Bde. Freiburg 1957-67.
KEAY, S.J., Roman Spain. London 1988.
MUHLBERGER, Steven, The fifth century chroniclers. Prosper, Hydatius and the Gallic Chronicler of 452. Leeds 1990.
RUHL, Klaus-Jörg, Spanien-Plötz. Spanische und portugiesische Geschichte zum Nachschlagen. 2., aktualisierte Auflage Freiburg 1991.
SCHMIDT, Ludwig, Geschichte der Wandalen, 2. umgearbeitete Auflage München 1942.
THOMPSON, E.A., Romans and Barbarians. The Decline of the Western Empire. Madison 1982.
VILAR, Pierre, Spanien. Das Land und seine Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin 1990.
VOGT, Joseph, Die Spätantike. Der Niedergang Roms - Metamorphose der antiken Kultur. Kindlers Kulturgeschichte Europas Bd. 5, München 1983.
WES, Marinus A., Das Ende des Kaisertums im Westen des Römischen Reiches. Übersetzt von K.E. Mittring, 's-Gravenhage 1967.
ZEDLER, Johann Heinrich, Grosses vollständiges Universal-Lexicon, 68 Bde., Halle und Leipzig 1732- 1754, Ndr. Graz 1961-1964.
3. Anmerkungen:
1MOMMSEN, Th., Chronica Minora II = MGH AA XI 1894, S. 1ff.
2MUHLBERGER, Steven, The fifth-century chroniclers. Prosper, Hydatius and the Gallic Chronicler of 452, Leeds 1990, S. 200 ff.
3Hydatius schrieb eine Fortsetzung der von Hieronymus bis ins Jahr 378 weitergeführten Chronik des Eusebios, die er bis 468 fortführte.
4MUHLBERGER, S., wie Anm. 2.
5THOMPSON, E.A., Romans and Barbarians. The Decline of the Western Empire, Madison 1982.
6BURGESS, Richard W., Hydatius: A Late Roman Chronicler in Post-Roman Spain. An Historiographical Study and New Critical Edition, Diss. phil. Oxford 1988.
7MOMMSEN, wie Anm. 1.
8DEMANDT, Alexander, Die Spätantike: römische Geschichte von Diocletian bis Justinian; 284-565 (Handbuch der Altertumswissenschaften: Abt. 3; Teil 6) München 1989, S. 325ff.
9Ebd. S. 389.
10Ebd. S. 341.
11Ebd. S. 342.
12RUHL, K.-J., Spanien-Plötz. Spanische und portugiesische Geschichte zum Nachschlagen. 2., Aktualisierte Auflage Freiburg 1991. S. 33.
13Dieser Begriff bezeichnet die vermögenden Gutsbesitzer, die in der spanischen Provinz sehr großen Einfluß hatten. Der Begriff „potentes“ bezeichnet eine soziale Kategorie, die eine nahezu souveräne Herrschaft über Menschen und Besitz ausübten.
14Auf die Quelle des Orosius „Historiarum adversus paganos libri VII“, die als wichtige Quelle für das 4. und 5. Jahrhundert gesehen werden muß, soll hier nicht weiter eingegangen werden.
15Vgl. Karte 1, Anhang.
16Vgl. THOMPSON, S. 154, Anm. 75.
17Hydatius benutzt in der Quelle die Bezeichnung „Gallaecia für die Landschaft, die im Osten an Asturien und León, im Süden an Portugal (nicht in den heutigen Grenzen, da die Städte Braga und Chaves auch zu Gallaecia gehörten) und im Westen und Norden an den atlantischen Ozean angrenzt. Mit dieser Umschreibung entspricht die römische Provinz Gallaecia einem weit größeren Gebiet als das heutige Galicen. Im folgenden Text wird zur Vereinfachung eine begriffliche Gleichsetzung von Gallaecia und Galicien vorgenommen, jedoch verbleibt die Bezeichnung Gallaecia in den Zitaten.
18HYDATIUS, praef. Kapitel1: „Verum Hydatius, prouinciae Gallaeciae natus in Lemica ciuitate...“
19S. ZEDLER, Johann Heinrich, Grosses vollständiges Universal-Lexicon, 68 Bde., Halle und Leipzig 1732-1754, Ndr. Graz 1961-1964, hier Bd. 10 Sp. 189, 1735.
20MUHLBERGER, S. 193, Anm. 2.
21HYDATIUS, Kapitel 96.
22HYDATIUS, Kapitel 130.
23Der Manichäismus ist eine von Mani (216-276) begründete dualistische, gnostische Religion, die vorderasiatische, buddhistische, jüdische und christliche Lehren miteinander zu einer Heilslehre verband. Sie war besonders im 4. Jh. ein ernstzunehmender Gegner der christichen Kirche. Der Manichäismus wirkte auch später vor allem bei Bogomilen, Kartharern und Albigensern weiter.
24HYDATIUS, Kapitel 201.
25Vgl. MUHLBERGER, S. 199.
26Auf diesen Punkt wird im folgenden Kapitel, in welchem die Inhalte der Quelle diskutiert werden eingegangen.
27HYDATIUS, praef. Kapitel 5.
28Vgl. THOMPSON, S. 142.
29HYDATIUS, Kapitel 34: „Solis facta defectio III idus Novembris“.
30HYDATIUS, Kapitel 43 und Kapitel 48, vgl. THOMPSON, S. 142.
31HYDATIUS, Kapitel 1: „Romanorum XXXVIIII, Theodosius per Gratianum in consortium regni adsumptus cum ipso et Valentiniano iuniore. Regnat annis XVII“.
32HYDATIUS, Kapitel 2: „I. Theodosius natione Spanus de prouincia Gallaecia ciuitate Cauca...“
33Priscillian ist als Asket und Gründer einer nach ihm benannten religiös- asketische Bewegung mit gnostischen Glaubensinhalten bekannt. Er lebte von etwa 335 (oder 345) bis 385 und wurde 380 zum Bischof von Avila geweiht.
34Vgl. HÖFER, Josef/RAHNER, Karl, Lexikon für Theologie und Kirche. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. Bd. 8 Sp. 770, Freiburg 1963.
35HYDATIUS, Kapitel 13b.
36Ebd.
37HYDATIUS, Kapitel 16: „Exim, in Gallaeciam Priscillianistarum haeresis inuasit“.
38Vgl. HÖFER, Josef/RAHNER, Karl, Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 8 Sp. 770, Freiburg 1963.
39BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in vierundzwanzig Bänden. Neunzehnte, völlig neu bearbeitete Auflage. Mannheim 1986-94, hier Bd 17 1992.
40HYDATIUS, Kapitel 18: „ [...] insignibus praeditus et usque Aegyptum penetrans getium simulacra subuerit“.
41HYDATIUS, Kapitel 32.
42HYDATIUS, Kapitel 34: „Solis facta defectio III idus Nouembris“
43Zur Umrechnung der Olympiadenzeitrechnung in die chrisliche Zeitrechnung kann nach der von Cortois vorgeschlagenen Formel (x-1)4- (776-1) vorgegangen werden, wobei x für die Anzahl der Olympiaden steht.
44HYDATIUS, Kapitel 42.
45HYDATIUS, Kapitel 43.
46Vgl. THOMPSON, E.A., Romans and Barbarians, S. 142
47Ebd.
48HYDATIUS, Kapitel 49: „Gallaeciam Vandali occupant et Sueui sita in extremitate oceani maris occidua; Alani Lusitaniam et Carthaginiensem prouincias et Vandali, cognomine Silingi, Baeticam sortiuntur. Hispani per ciuitates et castella residui a plagis barbarorrum per prouincias dominantium es subiciunt seruituti.“
49Die Vandalen können in zwei Teile gegliedert werden; die Asdingen und die Silingen. Vgl. dazu VOGT, J., Die Spätantike. Der Niedergang Roms - Metamorphose der antiken Kultur. Kindlers Kulturgeschichte Europas Bd. 5, München 1983, S. 342.
50HYDATIUS, Kapitel 63: „Vallia, rex Gothorum, Romani nominis causa, intra Hispanias caedes magnas efficit barbarorum.“
51HYDATIUS, Kapitel 65: „Romanae ecclesiae Post Theophilum XXXVIIII praesidet episcopus Eulalius.“
52HYDATIUS, Kapitel 71a: „... de quibus ita gestis eiusdem episcopi scripta declarant.“
53HYDATIUS, Kapitel 89: „... mox dei iudicio daemone correptus ineriit.“
54HYDATIUS, Kapitel 110.
55HYDATIUS, Kapitel 112.
56HYDATIUS, Kapitel 150: „CCC ferme milia hominum in eo certamine cecidisse memorantur“
57HYDATIUS, Kapitel 136: „Solis facta defectio die X Kal. Ianuarias, qui fuit Tertia feria.“
58HYDATIUS, Kapitel 149: „In Gallaecia terrae motus assisdui, signa in caelo plurima ostendentur.“
59HYDATIUS, Kapitel 150: „Aetius ... manu ipsius Valentiniani imperatoris occiditur.“
60HYDATIUS, Kapitel 168: „Sueui Carthaginiensem regiones ... depraedantur.“
61HYDATIUS, Kapitel 158: „Per Fredericum, Theodorici regis fratrem, Bacaudae Terraconeses caeduntur ex auctoritate Romana.“
62HYDATIUS, Kapitel 159: „In Gallaecia, terramotus et in Sole Signum in ortu quasi altero secum concerdante monstratur.“
63HYDATIUS, Kapitel 253: „ ... et multa alia ostenta, quae memorare prolixum est.“
64S. MUHLBERGER, S. 199.
65S. Zu dem folgenden Abschnitt MUHLBERGER, S. 200.
66COURTOIS, Chr., Auteurs et Scribes: Remarques sur la Chronique d'Hydace. In: Byzantion 21, 1951, S. 23-54.
67Im Gegensatz zu Courtois, von dessen Arbeit angenommen wird, daß sie allein auf der Edition Mommsens beruht (vgl. MUHLBERGER S. 203) lag Thompson eine Mikrofilmaufnahme der Handschrift vor (vgl. THOMPSON S. 227).
68THOMPSON, S. 137: „ ... Courtois fell upon wide tracts of his Chronicle, ore them ruthlessy from the main body, and pitchforked them into a limbo of spuria vel dubia.“
69THOMPSON, S. 227.
70S. THOMPSON, S. 227.
71CAMPOS, J., Hydatius, Idacio, Obispo de Chaves, Su Cronicón, ediert und übersetzt von Julio Campos. Salamanca 1984.
72Vgl. Anm. 6.
73THOMPSON, S. 137.
74HYDATIUS, Kapitel 162. Vgl. THOMPSON, S. 143.
75Vgl. S. 5 und Anm. 6.
76Vgl. HÖFER/RAHNER, Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 8 Sp. 769.