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„Anno 1809 Was dieses Jahr die Geschichte der Welt anbetrifft ...“

- Bäuerliche Schreibebücher als Quellen zur Alphabetisierung -
© Stephan Wannewitz

 

 

Dieses Zitat entstammt einem bäuerlichen Schreibebuch aus den holsteinischen Elbmarschen und war einer der auslösenden Sätze für eine Untersuchung zur Alphabetisierung von Bauern. Es wurde der Frage nachgegangen, warum im Bereich der holsteinischen Elbmarschen viele Schreibebücher von Bauern aufgefunden wurden, obwohl in der allgemeinen historischen Forschung immer noch die Untersuchungen Schendas1 und Engelsings2 als Standard gelten, welche die Schreibfähigkeit von Bauern stets als Ausnahmeerscheinung interpretieren.

Es werden zwei Quellen vorgestellt, die im Bezug zur bäuerlichen Alphabetisierung von gehobenem Interesse sind.

 

Das Schreibebuch Büldt

Die erste Quelle, ein Wetter- und Getreidepreisbuch aus Neuenbrook liegt im gemeinsamen Archiv der Stadt Itzehoe und des Kreises Steinburg3. Es wurde in den Jahren 1756 bis 1875 geführt4. Das Buch besteht aus mehreren aneinandergenähten Bögen verschiedener Papiersorten, was darauf schließen lässt, dass dieses Buch nach Belieben erweiterbar war. Die Eintragungen stammen von deutlich verschiedenen Handschriften und wurden durchweg in Tinte vorgenommen. Es wurde die deutsche Schrift benutzt, lediglich vereinzelte Fremdworte wurden in lateinische Buchstaben gesetzt. Hierbei handelt es sich um Ausdrücke wie „charmant“, „Comet“, „Conspiration“, „Continuirt“ und ähnliche. Die Schrift ist sehr deutlich und somit gut lesbar. Der gesamte Text ist von der ersten Seite an flüssig geschrieben; auffällig ist, dass Streichungen oder Verbesserung sehr selten vorkommen.

Das Buch ist im Aufbau und in der Systematik sehr einheitlich. Nach einer kurzen Einleitung auf Seite 1, in der einige Anmerkungen zu der Flutkatastrophe von 1756 gemacht werden, wird für jedes Jahr ein Abschnitt angelegt, der jedoch keinen festgeschriebenen Umfang hat. In einem ersten Absatz wurde das Wetter festgehalten, das in dem betreffenden Jahr herrschte5.

„Anno 1760 In diesem Winter haben wir einen beständigen Frost gehabt - ohne Schnee ...“ (S. 8)

„Anno 1764 In diesem Winter hat es fast gar nicht ge=frohren, sondern immer unbeständig mit Regen ...“ (S. 13)

„1765 Februar In diesem Monat haben wir fast bestän=dig Frost“ (S. 15)

„1768 Im Octob[e]r war es durchgehend charmantes Wetter“ (S. 22)

„Anno 1766 Januar, Der Anfang dieses Jahres und Monaths war ziemlich kalt und dauerte bis den 7ten Februa“r (S. 18)

„Anno 1809 Das neue Jahr Continuierte mit dem Frost Wetter und etwas Schnee Gestöber den ganzen Jan[uar] Monath hindurch ...Der Octob[er] fing gleich den ersten Tag an uns bessere Witterung zu bringen, und auch damit den gantzen Monath so anhielte, daß man die Bohnen trocken einbringen und die Winter Saat wagen daß Naße Land zur Nothdurft sich bestallen ließ, der Nov[ember] war gutes Herbst Wetter ohne Frost und Schnee, der Dec[ember] war ebenfalls ohne Frost, doch etwas mit Regen vermischt womit sich das Jahr endete“ (S. 196)

Darauf folgen Eintragungen über die wichtigsten Getreidepreise wie Kornsaat, Wintergerste, Sommergerste, Weizen und Rapssaat. Zum Abschluss eines jeden Jahres wird über Ereignisse berichtet, die als wichtig empfunden wurden. Bemerkenswert ist, dass hier Nachrichten nicht nur aus der näheren Umgebung Eingang finden, sondern auch außenpolitische Geschehnisse kommentiert werden.

„1780 im Nov. starb des vormahligen Kaysers Franciscus gemahlin Maria Teresia Königin von Ungern und Böhmen“ (Marginalie auf S. 17)

„Anno 1766 den 14. Marz, ist der König zu Dännemark Friedrich der 5te gestorben“ (S. 18)

„1769 In diesem Sommer ließ sich ein Comet einige zeit sehen“ (S. 33)

„1771 Der 17 Januar war der glückliche Tag, der die schreckliche Conspiration zu Coppenhagen entdeckt war“ (Marginalie S. 41)

„Anno 1809 Was dieses Jahr die Geschichte der Welt anbetrifft, so ward die Revolution in der Türkey doch bald gedämpft, weil die Janischaren die oberhand behielten und Mustafa Bayrastar ums Leben brachten, wo die Militz wieder auf ihren alten Fuß gesetzt wurde. Der Türckische Kayser machte dieses Jahr auch Frieden ... Was Schweden anbetrifft, so ward im Monat Märtz der König Gustav Adolf abgesetzt ...“ (S. 198).

Nach der Aussage Schendas, dass die Realität aus zweiter Hand dem Landmann völlig fremd sei und dass er in seinem Lebenskreis keinen Spiegel seiner Welt nötig habe6, müssen diese Eintragungen verwundern. Ebenso erstaunlich erscheint die große Sicherheit in der Benutzung der Schriftsprache. Es wird nur in hochdeutscher Sprache geschrieben, und es kommt nur zu sehr wenigen Streichungen. Auch die Ausdrucksstärke und die grammatikalische Gewandtheit lassen darauf schließen, dass die Schreiber diese Fähigkeit regelmäßig einsetzten.

Dass diese Sicherheit nicht als selbstverständlich angesehen werden kann, zeigen andere Beispiele. Neumann berichtet von einem Schreibebuch aus der Wilster Marsch, bei dem sich die beiden Schreiber "um die Rechtschreibung ...keine Sorgen gemacht" haben7. Trotzdem nahm Bildung für sie einen hohen Stellenwert ein, der sich darin äußerte, dass ihre Töchter neben dem Unterricht in der Dorfschule zusätzlichen Nachhilfeunterricht bekamen. Hierfür konnten die Nebenschullehrer aus der Stadt Wilster gewonnen werden8. Ein weiteres Beispiel für eine größere Unsicherheit in der Schriftsprache ist der Brief eines Bauern aus Kurzenmoor (Seestermüher Marsch) an seinen nach Amerika ausgewanderten Sohn aus dem Jahre 18729:

„Lieber Sohn!

Ich mache noch einen kleinen Anhang an deine Schwester ihren Brief. Mit das Ochsengeschäft hat es dies Jahr nicht so gut wie voriges Jahr gegangen, weil die Mäuse den Weiden vielen Schaden thaten ...Neue Weiden giebt es künftigen Sommer faßt gar nicht, den jungen Kle haben die Mäuse alle aufgefressen ...Ich soll dir noch viel mahls grüßen von H. Buthenschön, er will auch immer mahl an dir schreiben, aber ich glaube, das er die Feder wohl nicht so recht mächtig ist und deshalb wohl noch nichts daraus geworden ist. Bruder Claus hat jetz an Bruder Marx geschrieben.“

Dieser Brief illustriert die Außergewöhnlichkeit des Schreibebuches Büldt und anderer Bäuerlicher Schreibebücher, die zum Teil erheblich früher entstanden sind.

 

Das Schreibebuch Janßen

Die zweite Quelle lag nicht im Original vor, so dass die Edition von Detlefsen zugrunde gelegt werden muß10. Es handelt sich in diesem Falle um das Rechnungsbuch von Marten Janßen, welches im Jahre 1727 begonnen wurde, kurz nachdem dieser den Hof erworben hatte, wie aus den ersten Eintragungen hervorgeht:

„Anno 1726 d. 31. Oct., Auf Allerheiligen Abend habe ich Jürgen Tode alhier auff den Grevenkoper Riep seinen Hoff Landes gekaufft, welche ohngefähr laut protocoli in sich haltendt und giebet vor 30½ Morgen11 nach laut Kauff Zerte mit beschiedene Güter umb und für Eilff Tausend Vier Hundert und Sechzig Mark Lübisch und Sanct Petri Anno 1727 angetreten und den 3. Martii auff den Hoff gezogen, und bis an die Erndt an Ausgaben, wie noch 6 Kühe und jung Viehe zu fett gräsen und 2 Pferde zukauffet und sonsten etwas Hausgeräht annoch betragen laut meiner Rechnung

599 Mark Lüb.

Kaufgeld erstlich 11.460 Mark Lüb.

die gantze Summa ... 12.051 Mark Lüb.

bis ich an die Erndte gekommen.“12

 

Nach dieser Aufstellung über die Investitionen, die Janssen zu tätigen hatte, folgen jährliche Eintragungen über der Erlös aus verkauftem Korn und anderem. Alle sieben Jahre stellt der Schreiber eine Übersicht der erzielten Erträge auf, aus der die Gewinne -oder Verluste- dieser Zeitspanne abgelesen werden können.

„Anno 1734 habe ich zur Nachricht, weil ich sieben Jahre gewohnet, überlegt, was in die Zeit ich woll an Wispel13 nach Morgenzahl gebauet und an Angelde daraus gemacht.“

Als Abschluß der sieben Jahre bildet Janssen eine Summe, wobei lediglich die Einnahmen aus Rapssaat und Korn berücksichtigt wurden. Flachs, Heuer, Vieh- und Grasgeld finden in der tabellarischen Aufstellung keine Berücksichtigung. Am Ende der ersten sieben Jahre (1727-1733) schließt er mit dem Satz:

„Summe: 121½ Morg. - 235 Wisp. 7¼ Ton. - 7812 Mark Lüb. 14¼ Schilling an Rabsaat und Korn ohne was man von Flachs, Hauerland und fette Ochsen Graßgeld gemacht und sonsten aus Pferde und Kühe, welches nicht ist mit bey gerechnet. In diese 7 Jahr ist wenig erübriget. Vor gute Auskommen sey Gott gedancket“14.

 

Die Jahre 1741-1747 werden mit diesem Kommentar zusammengefasst:

„Summe: 134½ Morg. - 255 Wisp. 2¼ Ton. - 9275 Mark Lüb. 3½ Schilling. Ist eine edle Zeit gewesen; ohne dem ist noch etwas an Flaß Hauer gemacht. Was aus dem Vieh in die Zeit gemacht, daß hat die Vieh Seuche Anno 1745 woll wieder genommen“15.

Bedeutend ist eine Zusammenstellung der von Marten Janßen bekleideten Ehrenämter, die er in einer Liste notiert hat16. Sie können als ein Beleg für die ausgeprägte bäuerliche Selbstverwaltung in den holsteinischen Elbmarschen gesehen werden.

„Anno 1738 bin ich zum Kirchen Gevollmächtigten erwehlet worden.

Anno 1742 bin ich auf Anhalten der Gemeine davon wieder entlassen.

Anno 1739 bin ich vor die Dorffschaft Grevenkop bey der Marschrechnung zum Gevollmächtigten erwehlet worden auff 4 Jahr.

Dito 1739 selbigen Jahre zum Lags=Mann wegen der Land Millice ernennet.17

Anno 1741 bin ich zum Gevollmächtigten bey der Teich Gräfen Rechnung erwehlet (auf 2 Jahre).

Anno 1741 bin ich von den Kirchspiel=Voigt zum Sandwege=Schauer als gewöhnlich auf 7 Jahre ernennet.

Anno 1743 bin ich von den Kirchspiel=Voigt und geschworen bey der Anschauung, wie dabey gewönlich, auff 6 Jahre zum Geschworen und Schauer bey der Nordtwischer Aue erwehlet.

Anno 1744 den 19 Januarii bin ich von den Magistrat zu Crempe und von den Armen Vorsteher der innen und außen gemeine zum Armen Vorsteher erwehlet (auf 3 Jahre).

Anno 1747 d 22 Aprill bin ich laut Ambts Befehl zum Kirchen Jurathen ernennet und erwehlet (auf 3 Jahre).

Anno 1747 d 20 May bin ich bey der Dorffs Rechnung zum Schreiber erwehlet worden auff 8 Jahre.

Anno 1749 am letzten Oster Tage bin ich zum Marsch Gevollmächtigten erwehlet worden auff 2 Jahre.

Anno 1751 am letzten heil. Oster Tage bin ich zum Marsch Haubtman auf 2 Jahre erwehlet.

Anno 1751 bin ich von den Kirchspiel=Voigt zum Teichschauer ernennet worden.“

 

Diese Auszüge von willkürlich gewählten bäuerlichen Schreibebüchern aus der Kremper Marsch spiegeln die dort anzutreffende Schriftlichkeit wider. Solche und ähnliche Aufzeichnungen sind für viele Bauernstellen angelegt worden. Lorenzen-Schmidt geht davon aus, dass im Gebiet der Kremper Marsch fast jeder Bauer auf einer vollen Stelle „... Aufzeichnungen zu seinem Wirtschaftsbetrieb gemacht hat“18. Gründe hierfür sind in der starken Marktorientierung zu sehen, die dazu führte, dass sich Bauern bereits früh Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten aneignen mussten, um produktiv wirtschaften zu können.

Alle vorgestellten Quellen sind Bücher, die von „Bauern“ geführt wurden. Nicht immer lässt sich klar erkennen, welchen sozialen Status sie innehatten19, oder aus welchen Motiven sie Notizen anfertigten. Denkbar sind sie als Gedächtnisstützen oder auch als Hinweise an die Nachfahren, damit auf den Höfen eine größere Wirtschaftlichkeit erreicht werden konnte. Ihre große Bedeutung vor dem Hintergrund der Wirtschaftsgeschichte einer kleinen Region, oder auch, wie in dieser Untersuchung, eines Aspektes der Sozialgeschichte kann kaum verneint werden, sind sie doch die einzigen Quellen, die Einblicke in die Wirtschaftsweise und das Sozialleben einer großen Bevölkerungsgruppe gestatten, die zumindest in der bisherigen Alphabetisierungsforschung als eine Gruppe von Analphabeten dargestellt wurde.

Die gezeigten Beispiele machen nicht nur deutlich, dass Bauern des Schreibens kundig waren, sondern auch, dass sie ihre Kenntnisse durchaus nutzten. Die vorgestellten Schreibebücher Büldt und Janßen geben ein eindrückliches Bild von der Durchdringung der ländlichen Welt des 18. und 19. Jahrhunderts durch die Schriftlichkeit.

Es gibt eine Vielzahl von Gründen dafür, dass diese Bauern das Schreiben erlernen konnten. Eine wichtige Rolle ist in der regionalen Entwicklung zu sehen. Die Bauern der holsteinischen Elbmarschen nehmen schon durch ihre rechtliche Stellung eine exponierte Position im Reich ein, die ihren Ursprung in der Siedlungsgeschichte hat. Durch die Einwanderung der Holländer und Friesen, die von den holsteinischen Grafen durch Privilegien unterstützt wurde, kam es in den holsteinischen Elbmarschen zur Einführung des Hollischen Rechts, dass sich als ein Rechtssystem mit ausgesprochen starken Selbstverwaltungsnormen darstellte20. Zentrale Instanz war hierbei die Dorfgenossenschaft, die alle Vollbauern umfasste. Aus ihrem Kreis wurden sowohl Schulzen als auch Schöffen gewählt, die die Repräsentation des Dorfes nach außen und die Regelung innerer Angelegenheiten zur Aufgabe hatten21. Aus diesem Recht entsprang die Notwendigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, deren Ausübung zum Teil einen einsetzenden Alphabetisierungsprozess voraussetzte22. Ein Beispiel sind hier die vielen Ämter, die Marten Janßen innehatte. Die Rechtsprechung beispielsweise oblag bis zur Aufhebung des Hollischen Rechts der Dorfgenossenschaft23. Nach der Ablösung des Hollischen Rechts durch das Holstenrecht 1472 wurden die Schulzen und Schöffen durch den Ältermann und seine Geschworenen ersetzt, die, wie zuvor, aus der Dorfgenossenschaft gewählt wurden. Die nächsthöhere Instanz war der Amtmann.

Der rechtliche Freiraum war in den holsteinischen Elbmarschen mit bäuerlichem Eigenbesitz verbunden. Diese freie Verfügbarkeit des Bodens hatte zur Folge, dass sich frühzeitig ein Markt für den Handel mit Grund und Boden entwickelte. Die Hofgrößen und die Eigentumsverhältnisse waren, bedingt durch konjunkturelle Einflüsse, großen Schwankungen unterlegen24. Lorenzen-Schmidt konnte zeigen, dass in der Kremper Marsch zwischen 1750 und 1920 lediglich 23% der Höfe (absolute Anzahl 166) ohne Besitzwechsel -an familienfremde Personen- geblieben sind. Bei 77% (absolute Zahl 554) der Betriebe hingegen fanden solche Wechsel durchschnittlich zweimal statt, wobei die Wechsel sich nicht gleichmäßig auf den Untersuchungszeitraum verteilten, sondern konjunkturell bedingte Schwankungen deutlich werden25. Diese Beispiele machen deutlich, dass zumindest bei den holsteinischen Marschbauern Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten eng mit dem alltäglichen Leben verbunden waren.

Auch die absatzorientierte Wirtschaftsweise deutet an, dass eine Marktanpassung in dieser Region sehr früh erfolgt sein muss. Mögliche Wege dazu waren Zeitungslektüre, Verfolgen von Preistrends auf den städtischen Märkten und zusätzlich eigene Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben26, die sich in den Schreibebüchern wiederfinden.

 

Eine Möglichkeit, sich dieses Wissen anzueignen, boten die Bildungseinrichtungen, die bis zur Reformation allein, außer einigen städtischen Schulen, der Kirche unterstanden. Durch den reformatorischen Einfluss wurden zunehmend in den Kirchdörfern auf dem Land vergleichbare Einrichtungen gegründet. Ein Beispiel ist hier die Schule in Herzhorn aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts27, deren Gründung von Detlefsen dargestellt wurde. „Anno 1556 hefft de ersame bescheiden Johann Sommer, Köster im Hertzhorne mit Christlikem Rade und Bewillung des erwerdigen Herrn Hermanni Harsti Pastoren, der Ersamen Kerkgeswahren, und des gantzen Cerspels eine kinderschole ...erstmahls angefangen“28. Der Küster wollte im Einvernehmen mit dem Pastor, den Kirchengeschworenen und des gesamten Kirchspiels eine Schule für die Kinder errichten. Von Bedeutung erscheint hier ein Zusatz, der vorschrieb, daß der Lehrer und alle seine Nachfolger jährlich zwei arme Schüler kostenlos unterrichten sollten „Ock schall he und sin Successern Jarlickes twe arme Schölers, ...in siner Schole umbsonst lehrnen“29. 1572 wurde aus Kirchenmitteln eine Schule errichtet, die der Küster leitete. Auch in entlegeneren Ortschaften entstanden Kirchspielschulen, in denen Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wurden30. Zuerst Katechismuslehre, darauf folgend Schreibunterricht, später wurde auch noch Rechenunterricht gegeben. Die Höhe des Schulgeldes stieg mit diesen Abstufungen.

Schulen boten auch im ländlichen Bereich die wohl wichtigste Möglichkeit, Lesen und auch Schreiben zu erlernen. Gründe für den Besuch sind nicht nur in obrigkeitlichen Anordnungen, sondern auch im Bedarf der zu erlernenden Fähigkeiten zu sehen. Bauern, die marktwirtschaftlich arbeiten wollten, mussten die Marktkräfte kennen und verstehen. Lese- und Schreibfähigkeit waren hierfür wichtige Werkzeuge.

Dieser Einblick verdeutlich, dass die Position Schendas einer Revision bedarf. Einzeluntersuchungen von bäuerlichen Schreibebüchern können die historischen Wissenschaften in die Lage versetzen, eine detaillierte und differenzierte Geschichte der Alphabetisierung auch der bäuerlichen Schichten zu erstellen.



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Eine Weiterverwendung des Textes ist nur mit Ursprungshinweis gestattet! Zitiervorschlag: Wannewitz, St., „Anno 1809. Was dieses Jahr die Geschichte der Welt anbetrifft ...“. Bäuerliche Schreibebücher als Quellen zur Alphabetisierung. http://people.freenet.de/wannewitz/texte/alphabet.html (Abrufdatum)

 


1SCHENDA, R., Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770-1910. Frankfurt/Main 1970.

2ENGELSING, R., Analphabetentum und Lektüre, Stuttgart 1973.

3Kreisarchiv Steinburg Nr. 4704: Wetter und Getreidepreisbuch, Neuenbrook 1765-1875. Dieses Buch wurde von der Familie Büldt auf ihrem Hof in Neuenbrook geführt; Kennzeichnung bei GRAVERT, J., Die Bauernhöfe zwischen Elbe, Stör und Krückau mit den Familien ihrer Besitzer in den letzten 3 Jahrhunderten, Glückstadt 1929, Nr. 757, S. 410f. Der Hof hatte eine Größe von 43,4 ha einschließlich der Hälfte eines anderen Hofes, die 1836 hinzugekauft wurde. Seit 1663 betrug die Größe 28 Morgen, was ca. 28,87 ha entspricht. Die Preise des Hofes waren 1663 10.980 M., 1705 12.000 M., 1773 7.200 M. und 1807 24.000 M.

4Das Buch hat ein Format von 20 cm Höhe, 17 cm Breite und ist ca. 3,5 cm dick. Der Pappeinband weist Abnutzungserscheinungen auf, die durch die lange Nutzungsdauer hervorgerufen wurden. Die Seiten wurden handschriftlich paginiert, allerdings lediglich bis zur Nummer 273. Die letzten 72 Seiten, die die Jahre 1836 bis zum Ende der Eintragungen umfassen, tragen keine Nummern. Der Erhaltungszustand der beschriebenen Seiten ist gut, sie weisen weder Flüssigkeitsflecken noch Insektenschäden auf.

5Bei der folgenden Wiedergabe der handschriftlichen Quelle wird bewusst auf eine Umschrift nach SCHULZE, J., Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte, in: HEINEMEYER, W. (Hrsg.), Richtlinien für die Edition landesgeschichtlicher Quellen, Marburg-Köln 1978, S. 25-36 verzichtet. Gerade bei der dieser Untersuchung zugrundeliegenden Fragestellung nach der Alphabetisierung von bäuerlichen Schichten erscheint es notwendig, mit der Umschrift möglichst dicht am Original zu bleiben. Lediglich die in lateinischen Buchstaben geschriebenen Worte werden gesperrt wiedergegeben, Kürzungen in eckigen Klammern aufgelöst.

6SCHENDA, R., Volk ohne Buch, S. 442.

7NEUMANN, O., Wie ein Wilstermarsch-Bauer um 1800 lebte und wirtschaftete, in: Archiv für Agrargeschichte der holsteinischen Elbmarschen IV (1982) S. 205-207, hier S. 205. Dieser Artikel erschien zuerst in der “Norddeutschen Rundschau (Itzehoe) am 20. März 1954.

8Ebd., S. 207.

9Ein Brief nach Amerika berichtet über die Wirtschaft eines Marschbauern (1872), mitgeteilt von K.-J. LORENZEN-SCHMIDT, in Archiv für Agrargeschichte der holsteinischen Elbmarschen VII (1985) S. 71- 72.

10Rechnungsbuch des Grevenkoper Hofbesitzers Marten Janßen 1726-1761. Auszüge abgedruckt in: DETLEFSEN, D., Geschichte der holsteinischen Elbmarschen, Glückstadt 1891/92, Bd. 2, S. 378-381.

11Entspricht etwa 31,45 ha.

12Der Ursprung des Rechenfehlers ließ sich nicht eindeutig ermitteln, entstammt aber vermutlich dem Original, da auch in den abgedruckten tabellarischen Aufstellungen kleinere Rechenfehler enthalten sind. Sie erscheinen meist in der Gesamtsumme der Erträge bei der Umrechung in Wispel, Tonne und Himpten. Editionsfehler können aber nicht ausgeschlossen werden.

13Wispel bezeichnet ein in den Herzogtümern gebräuchliches Hohlmaß. Die Einteilung ist 1 Wispel = 9 Tonnen = 36 Himpten = 144 Spint, wobei 1 Wispel Weizen 1252,08 l, 1 Wispel Gerste 1878,12 l und 1 Wispel Hafer 1669,44 l entsprach. Angaben nach LORENZEN-SCHMIDT, K.-J., Kleines Lexikon alter schleswig-holsteinischer Gewichte, Maße und Währungseinheiten, Neumünster 1990, S. 76.

14DETLEFSEN, D., Holsteinische Elbmarschen, Bd. 2, S. 379.

15Ebd.

16Ebd., S. 380f.

17DETLEFSEN, ebd., S. 297f. berichtet von der 1737 erfolgten Aushebung einer kriegstüchtigen Mannschaft, die in Lagen eingeteilt wurden und um den Diensteintritt losen mussten. Dieses Verfahren wurde 1741 wieder eingestellt, und seit 1755 konnte die Dienstpflicht in Friedens- und auch Kriegszeiten gegen eine jährliche Zahlung von 11 Rthl. abgelöst werden. Die hier angeführte Quelle ist wiederum das Rechnungsbuch von M. Janßen.

18LORENZEN-SCHMIDT, K.-J., Anschreibebücher als Quellen zur Wirtschaftsgeschichte, bäuerlicher Betriebe in Schleswig-Holstein, in: ZSHG 109, 1984, S. 151-165 hier S. 157.

19Wenngleich die hier vorgestellten Schreiber durch die Hofgrößen eindeutig der mittelbäuerlichen Schicht zuzuordnen sind.

20Vgl. LORENZEN-SCHMIDT, Grevenkop. Geschichte eines Dorfes, Grevenkop 1981, S. 23.

21DETLEFSEN, D., Die holsteinischen Elbmarschen, Bd. 1, S. 306 gibt an, dass in der Regel 7 Schöffen gewählt wurden. Urkunden von 1342 belegen dies für einige Kirchspiele der Wilster Marsch sowie die Kremper Marschdörfer Herzhorn, Grönland sowie Sommerland.

22Auch KOHL, J. G., Die Marschen und Inseln der Herzogtümer Schleswig und Holstein. 3 Bde, Dresden, Leipzig, 1846 hier Bd. 1, S. 292 erkannte “Nicht nur das Seewesen, sondern auch die Deichgeschäfte erfordern zu ihrer Betreibung und zu ihrer Besetzung mit tüchtigen Beamten eine Menge von Leuten, die mit Zahlen und Figuren umzugehen verstehen müssen. Ebenso mag der Umstand, daß alle diese Marschleute in der Regel ihre Communen selbst verwalten und die finanziellen Posten mit Leuten aus ihrer Mitte besetzen, der Blüthe der Arithmetik unter ihnen Vorschub thun.

23Vgl. DETLEFSEN, D., Die holsteinischen Elbmarschen, Bd. 1, S. 306.

24Vgl. WOTHA, B., Agrare Entwicklungsphasen und Bodennutzungsformen in der Kremper Marsch seit dem 18. Jahrhundert, Krempe 1990 (Archiv für Agrargeschichte der holsteinischen Elbmarschen, Beiheft 4) S. 26 sowie LORENZEN-SCHMIDT, K.-J., Hofbesitzerwechsel als Indikator für konjunkturelle Krisensituationen in der Kremper Marsch, in: Archiv für Agrargeschichte der holsteinischen Elbmarschen I (1979) S. 2-6.

25Ebd., S. 3.

26Vgl. LORENZEN-SCHMIDT, K.-J., Anschreibebücher als Quellen zur Wirtschaftsgeschichte, S. 157.

27DETLEFSEN, D., Die holsteinischen Elbmarschen, Bd. 2, S. 115.

28Zitiert nach ebd.

29Zitiert nach ebd.

30Ebd. S. 385.